Jetzt, mit 44, und nach einem sukzessiven Austreten aus dem Polizeidienst schaue ich gerne auf diese Zeit zurück. All die Momente mit den unterschiedlichsten brenzligen, gefährlichen Situationen, die aber in unserer Gesellschaft Alltag sind, haben von mir innerhalb von Sekunden eine Entscheidung abverlangt, die für das Gegenüber enorme Folgen hatte. Bei Familienstreitigkeiten, Schlägereien, schweren Verkehrsunfällen, Suizidiversuchen, Todesfällen und Betäubungsmittelkriminalität, aber auch banaler wie Nachbarschaftsstreitigkeiten, Beleidigungen und Auffahrunfällen ging es immer darum, die richtige Entscheidung zu finden, den richtigen Ton zu treffen und dadurch den Weg zu bestimmen mit einem Streifenpartner, den polizeilichen Einsatz zu bewältigen. Vor Ort, direkt, mit den beteiligten Personen, aber auch im Nachgang beim Blutprobenarzt, in der Zelle, oder am Schreibtisch bei den Formularen, aber auch bei der Nachbereitung belastender Einsätze.
Fast zwanzig Jahre war ich auf der Straße im Streifendienst tätig und auch in der Einsatzhundertschaft, was einer der schlimmsten Stationen für mich war. Sitzend wartend auf Befehle, in Reih und Glied musste ich oft Tätigkeiten ausführen, die ich hinterfragte, aber nicht ändern konnte, oft auch gegen die eigene politische Haltung.
Geprägt von väterlichen Wurzeln und kulturell bedingt, typisch deutsch, in Fesseln verharrend, habe ich lange Zeit gespürt, dass „nur Sicherheit“ mir das nicht gibt, was mir meine Selbständigkeit in der Kunst und im Theater seit 2023 gibt. Meine Leidenschaft für’s Ausprobieren im kreativen Raum, für’s Spielen und verrückt Sein konnte bei der Polizei natürlich nicht genug Ausdruck finden. Natürlich gab es auch hier Verbündete und Nischen und auch meine sozialen Kompetenzen konnten gefördert werden, aber nicht ausreichend genug, dass ich meinen eigenen Ausdruck finden konnte und erst recht nicht, dass ich auch anderen dabei behilflich sein konnte, sich auszudrücken. So wie ich es heute mache als Theaterpädagoge – mit der Stimme, mit dem Körper, mit der ganz eigenen Kraft und einer Präsenz, die es ermöglicht auf die Bühne zu gehen oder im Leben ganz andere Schritte zu wagen und anders wahrgenommen zu werden.
Die Entscheidung zu treffen, das Polizeibeamtentum zu verlassen hat circa drei Jahre gedauert und mich ein zweites Sabbatjahr und einige Coachingstunden gekostet, nach dem Prozess wusste ich aber, das es zum einen das „weg von etwas“, aber auch das „hin zu etwas“ sein muss. Weiß man sicher, dass man von etwas (oder jemandem) weg will, so kann man das oder den verlassen, aber liegt erst mal auf dem Boden und weiß nicht, wohin man sich nun drehen soll. Hat man das „hin zu etwas“ im Visier, kann es aber auch eine Neulust sein und man sollte das alte erst mit Entschlossenheit loswerden, bevor man sich mit Leidenschaft dem Neuen zuwendet. Da ich nun schon seit 2010 in wechselnden Theatergruppen aktiv war, wuchs meine Lust und Leidenschaft hier immer weiter. Genauso entwickelte sich mein Interesse an anderen Formen der Kommunikation, als die, die bei der Polizei vermittelt werden, an weiteren sozialen Kompetenzen und an körperbasierten Therapieformen. Dass meine damalige Physiotherapeutin mich darauf brachte Dramatherapie zu studieren, danke ich ihr noch heute und ich fand so den Einstieg in die Welt der Theatertherapie und dadurch in die Theaterpädagogik. Was die beiden Disziplinen unterscheidet und auch verbindet, möchte ich gerne an anderer Stelle erklären. So begann ich 2020, noch im Polizeidienst, die Ausbildung zum Theatertherapeuten und kurz darauf die zum Theaterpädagogen.
Zudem bin ich immer noch schauspielerisch tätig und verbinde auch hier gerne Schauspiel mit Pädagogik wie in meinem jüngsten Projekt „Ox & Esel“.
In meiner vierten Disziplin, die sich um das Thema Kommunikation dreht, leite ich derzeit einige Kurse an Schulen, in denen sich Formate finden, um miteinander zu streiten, mehr Akzeptanz für unterschiedliche Meinungen zu schaffen und einen Konsens zu finden. Durch meine Arbeit als Polizist auf der Straße, aber auch in der Personalabteilung und der Führungsstelle weiß ich, was es heißt, Anweisungen zu geben und zu empfangen. Durch meine eigene Biographie weiß ich, wie gut es tun kann, diese zu hinterfragen, aber auch wie herausfordernd das ist.
Ich bin stolz und froh über meinen Wechsel nach fast genau 26 Jahren, in fünf Städten und vielen Stationen der Polizei NRW, mich nun Künstler, Theaterpädagoge, Schauspieler, Kommunikationstrainer und bald Theatertherapeut zu nennen – und mich vor allem – so zu fühlen! Andererseits möchte ich die Zeit bei der Polizei nicht missen; als Gemeinsamkeit kann ich betonen, dass man zum einen beim Polizeiberuf nah am Menschen dran sein muss, um den richtigen Weg einzuschlagen und ich diese Anforderung bei der Arbeit mit meinen Gruppen nun auch habe, ob es nun Jugendliche, Kita-Kinder, Senioren oder Menschen mit Beeinträchtigung sind. Und zum anderen ist es bei meinem neuen Job auch so, dass – wie eingangs erwähnt – es immer darum geht, die richtige Entscheidung zu finden, den richtigen Ton zu treffen und dadurch den Weg zu bestimmen – hier für jeden einzelnen, aber auch für die Gruppe – und nach meinem Geschmack und theaterpädagogischen Ansatz immer mit der Energie der Gruppe.